9. • Mark O`Connel schildert die Geburt seines Sohnes, wie er „gerade erst
schreiend, zitternd und blutverschmiert aus dem bebenden Leib seiner
Mutter herausgekommen war, die ihn nach vielen Stunden fanatischer
Leiden und Mühen zur Welt gebracht hatte.“ Und er konnte „nicht glauben,
dass es kein besseres System gab“
Mängel der Natürlichkeit des Menschen beseitigen:
Warum?
• Menschlicher Geist wird als „in der Steinzeit“ stehen geblieben
angenommen.
• Julian Huxley (1887-1975 ):
Die Menschheit wird ihre Bestimmung
erst dann verwirklichen, wenn sie die
eigene „Natur überwindet“. 9
(Bild: https://de.slideshare.net/FutureManagementGroup/transhumanismus-zukunftsmarktselbstoptimierung)
10. Mängel der Natürlichkeit des Menschen beseitigen:
„Die menschliche Spezies kann, wenn sie es möchte, über sich selbst
hinauswachsen - nicht nur sporadisch, ein Einzelner mal so, ein anderer mal
so, sondern als Ganzes, als Menschheit. Wir brauchen einen Namen für
diesen neuen Glauben. Vielleicht passt Transhumanismus ganz gut: Mensch,
der Mensch bleibt, aber sich selbst, durch Verwirklichung neuer
Möglichkeiten von seiner und für seine menschliche Natur, überwindet.“
(New Bottles for New Wine, 1957)
10
Warum?
Julian Huxley:
Max More:
Transhumanismus unterscheidet sich vom Humanismus im Erkennen und Antizipieren
der radikalen Änderungen in Natur und Möglichkeiten unseres Lebens durch
verschiedenste wissenschaftliche und technologische Disziplinen
(https://de.wikipedia.org/wiki/Transhumanismus)
11. (Mängel der Natürlichkeit des) Menschen beseitigen:
Ray Kurzweil
11
Warum?
• Leben, Bewusstsein und Intelligenz wird mit Informationsverarbeitung
gleichgesetzt (Leben als DNA-Speicher)
• „Natürlichkeit“ im Sinne von Krankheit, Sterblichkeit und Tod sollen
abgeschafft werden – perfekte Künstliche Intelligenz führt Evolution zur
Vollendung.
• Jeweils bessere Technologie entscheidet über Überlebenskampf - Auslese.
„Singularität “: Mensch besiegt
„biologisches Schicksal“ (die
„bessere“ Technologie siegt).
(Bild: Howard 2014)
12. P.S. Wenn Roboter wirklich intelligent werden...
12
(https://www.heise.de/newsticker/meldung/Russischer-Roboter-fluechtet-aus-Labor-3241284.html)
13. 13
• Vgl. Larry Page (einer der Mitgründer von Google):
„Meine Theorie ist, dass Ihre Programmierung, also Ihre DNA, sich auf
etwas 600 Megabyte komprimieren lässt.“
• Kurzweil ist seit 2012 Technischer Direktor bei Google...
(https://gen-ethisches-netzwerk.de/biobanken-und-big-data/der-google-mensch)
• Google investiert in Biotech-Firmen mit u.a. dem Ziel, der technischen
Lebensverlängerung.
• Google-Glass...
(Wikipedia)
(https://mixed.de/google-glass-2-datenbrille-verkauf/)
...erhielt 2013 den BigBrotherAward, weil
die „Ausforschung der Nutzerinnen und
Nutzer“ der „Wesenskern seines
Geschäftsmodells“ ist.
14. 14
Expertenumfragen: (nach Hofmann 2016)
• Es ist wahrscheinlicher, dass in ca. 25 Jahren eine Art
„Allgemeine KI“ existiert, als dass sie nicht existiert.
(Jetzige Teenager dürften das erleben)
"Sobald wir eine Intelligenz konstruieren,
die sich mit zunehmender
Geschwindigkeit verbessert, können die
Menschen, deren Entwicklung durch die
langsamere biologische Evolution
begrenzt wird, nicht mehr mithalten und
werden verdrängt werden."
(Wikipedia)
16. 16
Expertenumfragen: (nach Hofmann 2016)
• Eine „Allgemeine KI“ wird mit 52%iger Wahrscheinlichkeit einen
eher positiven oder extrem positiven Effekt auf die Menschheit
haben,
und eine 31%ige Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Folgen eher
schlecht oder extrem schlecht sein werden.
Steigen Sie in ein Flugzeug mit
31%iger Wahrscheinlichkeit des Absturzes???
26. Ziele
26
Emanzipativ?
„Cyborgs sind Geschöpfe einer Post-Gender-
Welt. Nichts verbindet sie mehr mit
Bisexualität, präödipaler Symbiose,
nichtentfremdeter Arbeit oder anderen
Versuchungen, organische Ganzheit durch
die endgültige Unterwerfung der Macht aller
Teile unter ein höheres Ganzes zu erreichen.“
(S. 35)
Cyborg:
• Seine Beziehungen zu Anderen sind nicht
von Unterwerfung und Aneignung geprägt
(Einleitung, S. 30)
27. Ziele
27
Emanzipativ?
Grundannahme:
• „Die Maschinen des späten 20.
Jahrhunderts haben die Differenz von
natürlich und künstlich, Körper und Geist,
selbstgelenkter und außengesteuerter
Entwicklung sowie viele andere
Unterscheidungen, die Organismen und
Maschinen zu trennen vermochten, höchst
zweideutig werden lassen.“
(zit. in „Neuerfindung der Natur...“, S. 37)
29. Grundannahmen
29
• Was ist der Mensch?
• Bestimmt durch Beschränkungen (physisch, psychisch).
• (weiterhin) dem biologischen Konkurrenzkampf unterworfen:
(Bild: https://de.slideshare.net/FutureManagementGroup/transhumanismus-zukunftsmarktselbstoptimierung)
30. Grundannahmen
30
• Isoliert individuell – wie als bürgerliches Individuum im Kapitalismus.
• Was ist der Mensch?
• Identität identisch mit Aktivität meiner Neuronen. (kann deshalb auf
Computer übertragen werden)
31. Grundannahmen
31
• Gesellschaftstheorie in technokratischen Konzepten reduziert auf
„Sozialphysik“
• Keine gesellschaftliche Entwicklungsperspektive
• Als wichtigstes Produkt der
Menschheit: lediglich
Technologie betrachtet, nicht
die eigene Entwicklung.
(Transhumanistische Partei)
32. Grundannahmen
32
Warum akzeptieren viele diese Annahmen?
• Max Schnetker (2019):
„...es handelt sich um eine bürgerliche Rationalität, die allerdings in einer
bestimmten Umwelt sehr gut funktioniert: eine Umwelt, die äußerst
kompetitiv ist, wo permanent Leistung gemessen und individualisiert wird,
zum Beispiel in den technischen Wissenschaften.
Wahrscheinlich leuchtet deswegen diese Sorte Vernunft einigen
Angehörigen dieses Milieus unmittelbar ein. Die Superintelligenz ist eine
Projektion von Menschen, die in ihrem Berufsalltag auf die
spieltheoretische Rationalität angewiesen sind und Emotionalität als
Schwäche erleben, die durch ihre Umwelt bestraft wird.“
(https://www.heise.de/tp/features/Transhumanismus-Von-der-Technikverehrung-zur-Mythologie-4467072.html)
33. Warum II
33
Warum akzeptieren viele diese Annahmen?
• Isoliertes Individuum – entspricht Wirklichkeit des Lebens von Menschen
im Kapitalismus: in Konkurrenz gegen andere, auf Kosten von anderen...
• ist objektive Erscheinung...
• ...ist objektiver Schein:
denn „in Wirklichkeit“ (vom „Wesen her“) ist der Mensch auch im
Kapitalismus gesellschaftliches Individuum...
Der Mensch kann sich nur in der Gesellschaft vereinzeln!
ABER
34. Warum II
34
Warum akzeptieren viele diese Annahmen?
• Reale Orientierung auf „Funktionieren“ zum Zweck der
Kapitalakkumulation im Kapitalismus.
Erich Fromm: „Wer sein Selbst aufgibt und zu einem Automaten wird, der
mit Millionen anderer Automaten in seiner Umgebung identisch ist, fühlt sich
nicht mehr allein und braucht deshalb keine Angst mehr zu haben. Aber der
Preis, den er dafür zahlen muß, ist hoch, es ist der Verlust seines Selbst.“
• Reale Abkopplung der technologischen Innovationen von sozialem
Fortschritt.
• Orientierung an „Big Data“ statt Handlungsbegründung und –erklärung
über Handlungsgründe.
35. Kritik
• Gehirn als Informationsverarbeitungsmaschine? Beinhaltet nur den
syntaktischen Aspekt der Information, nicht den semantischen (Schnetker)
oder gar pragmatischen.
35
• Verleugnet andere Charakteristika des Menschen: Verletzbarkeit,
Gestimmtheit, Selbstbewusstsein und das leibhafte Bewusstsein, «wer» zu
sein (Manifest „Wider den Transhumanismus“)
36. Kritik
Fehleinschätzung der „Natur des Menschen“ als „bloß“ begrenzt...
1. Gerade in den Bereichen, in denen „der biologische Mensch“ ein
„Mängelwesen“ zu sein scheint, hat er durch kooperatives Verhalten,
Arbeit, Produktivkraftentwicklung eine spezifische Entwicklungsform
(kulturell-gesellschaftlich) entwickelt.
36
2. Menschen sind „natürlich gesellschaftlich“.
Ihre „Natur“ besteht darin, dass sie eine „Entwicklungspotenz zur
individuellen Vergesellschaftung haben („artspezifische biologische
Ausstattung“) (Holzkamp-Osterkamp 1977: 332)
3. Der für Menschen spezifische Entwicklungsbereich ist der kulturell-
Gesellschaftliche: Produktivkraftentwicklung, Gesellschaftsformationen...
37. Kritik
Fehleinschätzung der „Natur des Menschen“ als „bloß“ begrenzt...
37
• Arbeit: Menschen setzen die Zwecke, durchbrechen die Unmittelbarkeit,
haben gnostische Distanz gegenüber den Gegebenheiten („bewusstes-
Verhalten-zu“) (Holzkamp) „Grund des freien Verhaltens von Subjekten
zu ihrer Umwelt“ (Holz)
Menschen schaffen „in historischer Größenordnung und
vergegenständlichender Tätigkeit ihre Lebensbedingungen selbst“ (Holzkamp)
Der Mensch ist das seine Lebensbedingungen schaffende und erweiternde
Wesen.
Menschen haben gegenüber der Welt eine spezifische
Möglichkeitsbeziehung. Sie entscheiden, wofür sie wie handeln (innerhalb
bestimmter konkret-historischer Schranken)
38. Kritik
38
Entmündigung der Menschen in Bezug auf ihre Zukunftsgestaltung
• Deterministische Vorstellungen über die „Bestimmung“ der Menschen und
überhaupt der Evolution im Universum.
• Vgl. „Pflicht zum Fortschritt“
• Fortschritt primär in technologischer Verbesserung/Ersetzung
des Biologischen gesehen.
(http://www.bertramkoehler.de/Zukunft.htm)
39. Kritik
39
... der reduktionistischen Voraussetzungen:
• Trennung des menschlichen Bewussteins/Geistes von seinen biologischen
und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Einbettungen
• Reduktion von Intelligenz auf leistungsfähige Informationsverarbeitung
40. Kritik
40
... der reduktionistischen Voraussetzungen:
• Trennung des menschlichen Bewussteins/Geistes von seinen biologischen
und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Einbettungen
• Reduktion des Biologischen und Gesellschaftlichen auf technisch
Nachmachbares („Die Verfügbarkeit des Gehirns als Vorlage macht es sehr
wahrscheinlich, dass die maschinelle Intelligenz letztlich realisierbar ist.“
(Bostrom),
• auch die „Persönlichkeit“ wird als auf Computer übertragbar
angenommen (ebd.).
41. Kritik
41
... der reduktionistischen Voraussetzungen:
• Reduktion der spezifischen menschlichen Möglichkeitsbeziehung auf
berechenbare Optimierung nach Zielvorgaben: „Warum Entscheidungen
über Ihr Privatleben treffen, wenn es zertifizierte Module gibt, die Ihr
Zielsystem scannen und Ihre Ressourcen besser managen können als Sie
selbst?“ (Bostrom)
• Reduktion gesellschaftlicher Entscheidungsfindungsprozesse:
„Superorganismen blieben von den Agenturproblemen verschont, die
Organisationen plagen, deren Mitglieder ihre eigenen Interessen
verfolgen.“ (ebd.)
• Reduktion des Konzepts von Fortschritt auf den Fortschritt der technischen
Informationsverarbeitung,
42. Kritik
42
... der reduktionistischen Voraussetzungen:
• Reduktion des Sinns des Lebens auf Funktionieren zugunsten
vorgegebener Kriterien, Reduktion auf profitable Nützlichkeit (Schnetker)
d.h. wenn ohne viel Aufwand digitale Arbeiter erzeugt werden können,
verliert aus dieser Sicht das Leben seinen Wert (Bostrom):
• Reduktion der vorstellbaren Gesellschaftsformen auf bisher durchlaufene
und speziell den Kapitalismus, denn letzterer wird vorausgesetzt bei der
Vorstellung einer „algorithmischen Wirtschaftsordnung“ (ebd.).
„Für menschenähnliche kognitive Organisationen wäre in einem
solchen kompetitiven Wirtschafts- oder Ökosystemen dann kein Platz
mehr“ (ebd.).
43. Kritik
43
... der reduktionistischen Voraussetzungen:
• Nachdem dem Konzept des Menschlichen alles Wesentliche (Subjektivität,
Gesellschaftlichkeit) entnommen wurde, wird diese entleerte Hülle
aufgeblasen.
44. Kritik
44
Kritik darf nicht nur Ideologiekritik bleiben, sondern: die Gesellschaft so
verändern, dass sie keine Grundlage mehr für isolierende Praxen und
Menschenbilder bietet.
Die Welt (Gesellschaft) menschlich machen,
statt den Menschen künstlich zu machen!
45. Kritik
45
Kritik darf nicht nur Ideologiekritik bleiben, sondern: die Gesellschaft so
verändern, dass sie keine Grundlage mehr für isolierende Praxen und
Menschenbilder bietet.
Die Welt (Gesellschaft) menschlich machen,
statt den Menschen künstlich machen!
(Dann klappts auch mit vernünftigen Enhancement
und der Zusammenarbeit mit möglichst „schlauen“ Robotern...)
(https://www.rnd.de/digital/roboter-in-der-landwirtschaft-wie-sich-alfons-auf-dem-biohof-macht-OYIMFOVH7JGHNBHXSGMR6UMYQA.html
47. Literatur
47
• Becker, Matthias (2019): Transhumanismus: Von der Technikverehrung zur Mythologie.
TELEPOLIS 21. Jul 2019.
• Bloch, Jan Robert (1996): Die Zukunft des irdischen Sozialprozesses. Kritische Fragen zur
„Ontologie des Noch-Nicht-Seins“. Erinnerung an ein Gespräch mit Adolph Lowe. In:
VorSchein Nr. 15. Blätter der Ernst-Bloch-Assoziation. Dez. 1996. Nürnberg: Eigenverlag.
S. 71-77.
• Bostrom, Nick (2018): Superintelligenz. Szenarien einer kommenden Revolution. Berlin:
Suhrkamp.
• Franck, Georg; Spiekermann, Sahra; Hampson, Peter; Ess, Charles M.; Hoff, Johannes;
Coeckelbergh, Mark (2017): Wider den Transhumanismus. Neue Zürcher Zeitung.
Online: https://www.nzz.ch/meinung/kommentare/die-gefaehrliche-utopie-der-
selbstoptimierung-wider-den-transhumanismus-ld.1301315 (abgerufen 2019-07-10).
• Hofmann, Maurice (2016): KI Revolution – Mögliche Folgen von technologischer
Singularität.
48. Literatur
48
• Holz, Hans Heinz (2005) : Weltentwurf und Reflexion. Versuch einer Grundlegung der
Dialektik. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler.
• Holzkamp, Klaus (1983): Grundlegung der Psychologie. Frankfurt am Main, New York:
Campus Verlag.
• Holzkamp-Osterkamp, Ute (1977): Grundlagen der psychologischen
Motivationsforschung 1. Frankfurt/New York: Campus.
• Howard, Jeremy (2014): The wonderful and terrifying implications of computers that
can learn. TED Talk.
• Jansen, Markus (2014): Der Google-Mensch. Gen-ethisches Netzwerk e.V.
• Schnetker, Max Franz Johann (2019a): Transhumanistische Mythologie. Rechte
Utopien einer technologischen Erlösung durch künstliche Intelligenz. Münster: Unrast
Verlag.
• Schnetker, Max (2019b): Im Interview in: Matthias Becker 2019.
49. Literatur
49
Schlemm, Annette (2007): Reduktion des Menschlichen oder seine Befreiung? Das
Dilemma von Sozionik und Multi-Agenten-Systemtheorie. In: Rainer E.
Zimmermann (Hrsg.): Perspektivisches Weltverhältnis und Raumhaftigkeit der
Denkform. Beiträge zum urbanen Harmoniebegriff. Münchner Schriften zur
Design Science. München 2007. Aachen: Shaker Verlag. S. 283-294.